Montag, 14. Mai 2007

Warum?


Heute ist nicht einer von diesen Tagen, an denen ich mich gewöhnlich
selbst frage: "Warum bin ich eigentlich hier?". Solche Tage gibt es dann, wenn die Pulka schwer durch den tiefen Schnee zu ziehen ist, oder wenn der Wind die Berge herabbläst und das Zelt vibriert.

Heute ist nicht so ein Tag, heute ist ein Tag wo die Sonne sich langsam dem Horizont nähert, kurz davor jedoch umdreht um dann wieder aufzusteigen. Heute ist ein Tag, an dem die ganze Welt lieblich in warmes Gelb
gehüllt ist, und der klare blaue Himmel die umgebende Bergsilhuette grenzenlos erscheinen läßt. Die blaue Farbe, die gleichzeitig hell und dunkel ist, eine Farbe, die man nur dort findet, wo die Luft sauber und trocken ist, eine wundervolle Farbe. Heute ist ein Tag, an dem ich weiß, warum ich hier bin.

Ich war bereits auf Touren mit Ski, zu Fuß, und auf dem Wasser, wo mein Paddel seinen tropfenden Gesang in dem dunklen Wasser erklingen läßt, das dem Biber und dem Hecht gehört. Ich bin viel in der Welt herumgereist, und von Zeit zu Zeit ist die Frage aufgetaucht, warum tue ich das? Die Frage ist nicht einfach, aber heute kenne ich die Antwort. Wie schon so oft, kam mir die Antwort heute während wir uns nach Norden bewegten, mit der tiefstehenden Sonne auf der einen Seite, und unseren langgezogenen Schatten auf der anderen.

Ich fühle mich vollkommen, vollkommen und erfüllt. Dieses Gefühl hatte ich vorher schon mal und ich würde diesen Moment für nichts eintauschen. Dieser Augenblick ist die Reise wert, eine lange Reise. Ich fühle mich auch zuhause zufrieden, zuhause mit denen, die ich liebe, zuhause in meiner Stadt, zufrieden in einer pulsierenden Stadt. Ich liebe Städte, ich liebe es, auszugehen.
Es gibt einen Unterschied, einen kleinen nicht benennbaren Unterschied, den ich niemals in Worte fassen kann: den Unterschied zwischen der glücklichen Zufriedenheit "zu hause" und der "hier draußen". Das mag der Grund sein, warum ich immer wieder auf Reisen gehe: Den Einklang mit der Natur zu spüren, wenn der Abstand zwischen dir und deiner Umgebung klein ist, und dein Leben ganz von der Natur abhängig ist. Du mußt nicht auf lange Reisen gehen, das Gefühl der Vollkommenheit kann überall entstehen. Man kann es in der Musik, in der Kunst, und bei der Holzarbeit finden, aber heute fühle ich mich vollständig und zufrieden.

Heute ist ein guter Tag, ein guter Tag, um sich zufrieden zu fühlen. Wir haben bisher keinen schlechten Tag erlebt, einen schlechten Tag, ohne den Moment, wo das Licht die Wolkendecke durchbricht, wenn das schillernde Licht sein Gloria auf die Abhänge und das Treibeis sendet. Ich denke, es war Ibsen, der norwegische Dichter, der einmal diese Worte gesagt hat: "Hier oben auf den Bergen, hier ist Gott, und unten im Tal
sind die anderen, die Bewohner"

Heute ist ein guter Tag, ein guter Tag und ich fühle mich vollkommen, aber ich würde nicht sagen, daß das ein religiöses Gefühl ist, ich betrachte mich nicht als ein Überwesen, als ein mystischer Held, oder ein besonderer Mann. Ich bin einfach ich selber, lebe mein einfaches Leben, im Moment in einer wundervollen Umgebung mit dem Gefühl der Vollständigkeit.

Die Berge, der Schnee, die Gletscher, die Sonne und der Himmel, alles fühlt sich so nah und doch so fern an. Mein Körper bewegt sich langsam nördlich vorwärts, aber ich bin weder hier, um Ski zu fahren, noch, um einen Fuß vor den Anderen zu setzen, sondern ich bin hier, weil dies ein Teil meines Lebens ist, und sich vollkommen zu fühlen ist Teil meines Lebens. Das Gefühl der Vollkommenheit hier oben und zu Hause. Die Sonne beendet nie ihre Reise über unseren Köpfen, erreicht ihren tiefsten Punkt und verschwindet hinter einem Berg. Kalte Luft erreicht uns über die Hänge und über die Gletscher, es ist Zeit, das Lager aufzuschlagen. Meine Zeit des Philosophierens wechselt in die tägliche Routine: Zeltaufbauen, Schnee schmelzen, eine Mahlzeit bereiten, und in den Schlafsack hinein zu gleiten und in die Welt der Träume. Aber das gute Gefühl ist immer noch da, das Gefühl der Vollständigkeit.

Mats

P.S.: Dieser Block wurde vor ein paar Tagen geschrieben. Heute, am 9. Mai, ist der zweite Tag, den wir in unserem 30. Lager verbringen, der zweite wegen Schlechtwetterbedingungen und der Liebeskummerrettungsrunde, die von Longyearbyen geschickt wurde, um die jüngsten und die ältesten Mitglieder von unserem Team zu erfreuen, als wir gerade die Hälfte unserer Tour hinter uns hatten. Das Leben meint es immer noch gut mit uns und ich habe immer noch das Gefühl vollständig zu sein, aber die Frage, warum wir alle hier auf diesem Planeten sind bleibt immer noch ohne Antwort. Einige Fragen sind einfach nicht vollständig zu beantworten.

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